Gedanken von Tex Rubinowitz:
Endlich gibt es wieder eine neue Platte von MUTTER.
Man musste lange darben, denn die letzte reguläre Veröffentlichung (die LP „CD des Monats“) ist sechs Jahre her, viel zu lang für all jene, für die MUTTER so etwas Essentielles wie Essen ist, in der Zwischenzeit ist ein Kind geboren und wurde eingeschult.
Und nun TRINKEN SINGEN SCHIESSEN, ein programmatischer Titel, der an das grausame Massaker von Rechnitz erinnert (In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden 180 ungarische Juden von betrunkenen Teilnehmern eines von Margit von Batthyány, Tochter Heinrich Thyssens, abgehaltenen Schlossfestes im burgenländischen Rechnitz erschossen).
Zur Finanzierung der neuen Platte gab die Band 99 aufwändig von Max Müller gestaltete Kaltnadelradierungen als Schuldverschreibungen aus. Die innerhalb einer Woche ausverkauften Aktien dienten dazu, das Mastering und das Pressen der neuen CD zu ermöglichen.
Die Platte osziliert inhaltlich wie schon ihre Vorgängerinnen zwischen dem Grauen des Alltags, des Stillstands, Stupor, dem Kommunikationsunvermögen zwischen den Generationen („Die Alten hassen die Jungen, bis die Jungen Alte sind“), der Dummheit und dem immer wieder zerbrechenden Liebesglück und der unstillbaren Sehnsucht danach, der Sprachlosigkeit angesichts der Meinungsführer („…klingt jede hohle Phrase, mit der du sagen willst, was die hohle Phrase der anderen ist“) und Zwangsbeglücker („Sie sind Wohltäter, und wir die Opfer“), ein Marsch im Stile Hanns Eislers.
Dazu singt Max Müller dringlicher denn je, eine gepeinigte Seele, die Gesänge der Jünglinge im Feuerofen, trotzdem gibt es da und dort Manfred-Krug-Momente, wenn er wie Krug kleine Idyllen beschreibt, die so fragil sind, dass sie nur wie von Spucke zusammengehalten scheinen. Und immer wieder die repetitive, schiere Fassungslosigkeit: „Idioten zu erklären, dass sie welche sind, kann man nicht, und tut es doch, weil sie welche sind“. Sisiphos lässt grüßen.
Die Musik ist facettenreicher geworden als auf den früheren Platten, raffinierter, eine adäquate Umsetzung der Müllerschen Geworfenheit, dieses ungefragte In-die-Welt-gekommen-seins, der Felsbrocken von früher hat eine Glasur bekommen, und wieder steht eine neue MUTTER Platte wie ein Monolith da, und wieder werden die Jungs von Tocotronic und Blumfeld neidlos konstatieren müssen: „Wir waren umgehauen“.
Tex Rubinowitz, Wien, Juni 2010