Category Archives: 2010 Trinken Singen Schiessen

Unabhängigkeit total!

Geld muss her – um die Fertigstellung der neuen Platte zu finanzieren. Die Band verfasst folgenden Aufruf:

Mit TRINKEN SINGEN SCHIESSEN, dem neuen Mutter-Album, liefern wir uns aus. Wir begeben uns in die Hände unserer FreundInnen, UnterstützerInnen und Fans. Sie werden das neuste Mutter-Album ermöglichen und – wie gewohnt – keinerlei Einfluss auf die Musik von Mutter haben. Das Ganze wird ausschließlich über das System einer privaten Schuldverschreibung finanziert. Und das funktioniert so:

1. Die Mutterschuldverschreibung ist eine Kaltnadelradierung von Max Müller, gedruckt auf feinem Büttenpapier. Von dieser Schuldverschreibung existieren insgesamt 99 Exemplare zu je 100€, die fortlaufend nummeriert, von Max Müller signiert und von allen Bandmitgliedern unterschrieben sind. Nach der Auflage werden die Druckplatten zerstört!
2. Die Kundin/der Kunde erwirbt ein rechtskräftiges Wertpapier. Dieses ist datiert und kann nach einem Jahr zurückgeben werden, wobei der Kaufpreis voll erstattet wird.
3. Es existieren 3 Motive à 33 Stück in den Farben braun, lila und grün. Die Radierungen werden nach Abfolge der fortlaufenden Nummerierung veräußert. Eine Auswahl ist leider nicht möglich. Aber: der parallel zur Nummerierungsfolge einherschreitende Farb-/Motivwechsel garantiert beim Erwerb von 3 Schuldscheinen den Erhalt aller 3 Motive/ Farben. Die Radierungen werden den GläubigerInnen zusammen mit einem Vertrag in einem festen, knickfreien Karton per Einschreiben zugesandt.
4. Alle BesitzerInnen der Schuldscheine werden namentlich auf der Rückseite des Albums TRINKEN SINGEN SCHIESSEN erwähnt. Wer nicht genannt werden möchte, kann selbstverständlich unerwähnt bleiben und dies im Bestellformular vermerken.
5. Die Nummer 100 zeigt ein Triptychon aller 3 Druckplatten und wird gesondert veräußert.
Das Album wird auf dem hauseigenen Label Die Eigene Gesellschaft erscheinen.

In der Druckwerkstatt Bethanien in Berlin-Kreuzberg entstehen insgesamt 100 Tiefdrucke. Die Zertifikate werden nummeriert und signiert.

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Im Nuthetal

Nachdem in Hamburg die Zelte abgebrochen worden sind und die Übergabe der Daten vollzogen war, verweilt Mutter im Mai 2010 im ›Studio 13‹ von Z.A.P. in Potsdam. Für ›Trinken Singen Schiessen‹ werden dort bis auf das Schlagzeug alle Instrumente komplett neu eingespielt.

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Mutter bei Radio Eins

Am 30.07.2010 wird das Mutter-Album ›Trinken Singen Schiessen‹ bei Radio 1 in der Sendung ›Soundcheck‹ besprochen. Alle vier Kritiker des musikalischen Quartetts einigen sich auf die Bewertung HIT.

Zwei Wochen später, am 12.08.2010, sind Mutter zu Besuch in der Sendung ›Lokalmatador‹, auch bei Radio 1.

›Trinken Singen Schiessen‹ Pressemitteilung

Gedanken von Tex Rubinowitz:

Endlich gibt es wieder eine neue Platte von MUTTER.

Man musste lange darben, denn die letzte reguläre Veröffentlichung (die LP „CD des Monats“) ist sechs Jahre her, viel zu lang für all jene, für die MUTTER so etwas Essentielles wie Essen ist, in der Zwischenzeit ist ein Kind geboren und wurde eingeschult.

Und nun TRINKEN SINGEN SCHIESSEN, ein programmatischer Titel, der an das grausame Massaker von Rechnitz erinnert (In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden 180 ungarische Juden von betrunkenen Teilnehmern eines von Margit von Batthyány, Tochter Heinrich Thyssens, abgehaltenen Schlossfestes im burgenländischen Rechnitz erschossen).

Zur Finanzierung der neuen Platte gab die Band 99 aufwändig von Max Müller gestaltete Kaltnadelradierungen als Schuldverschreibungen aus. Die innerhalb einer Woche ausverkauften Aktien dienten dazu, das Mastering und das Pressen der neuen CD zu ermöglichen.

Die Platte osziliert inhaltlich wie schon ihre Vorgängerinnen zwischen dem Grauen des Alltags, des Stillstands, Stupor, dem Kommunikationsunvermögen zwischen den Generationen („Die Alten hassen die Jungen, bis die Jungen Alte sind“), der Dummheit und dem immer wieder zerbrechenden Liebesglück und der unstillbaren Sehnsucht danach, der Sprachlosigkeit angesichts der Meinungsführer („…klingt jede hohle Phrase, mit der du sagen willst, was die hohle Phrase der anderen ist“) und Zwangsbeglücker („Sie sind Wohltäter, und wir die Opfer“), ein Marsch im Stile Hanns Eislers.

Dazu singt Max Müller dringlicher denn je, eine gepeinigte Seele, die Gesänge der Jünglinge im Feuerofen, trotzdem gibt es da und dort Manfred-Krug-Momente, wenn er wie Krug kleine Idyllen beschreibt, die so fragil sind, dass sie nur wie von Spucke zusammengehalten scheinen. Und immer wieder die repetitive, schiere Fassungslosigkeit: „Idioten zu erklären, dass sie welche sind, kann man nicht, und tut es doch, weil sie welche sind“. Sisiphos lässt grüßen.

Die Musik ist facettenreicher geworden als auf den früheren Platten, raffinierter, eine adäquate Umsetzung der Müllerschen Geworfenheit, dieses ungefragte In-die-Welt-gekommen-seins, der Felsbrocken von früher hat eine Glasur bekommen, und wieder steht eine neue MUTTER Platte wie ein Monolith da, und wieder werden die Jungs von Tocotronic und Blumfeld neidlos konstatieren müssen: „Wir waren umgehauen“.

Tex Rubinowitz, Wien, Juni 2010